Wenn Radfahrer laufen …

20150320 HM Graz

… dann ernten sie oft Kopfschütteln von den Kollegen. Ist Laufen wirklich so schlecht wie oft behauptet wird? Wann macht es Sinn laufen zu gehen und wann nicht? Ich hab’s ausprobiert, mir heuer ein paar laufspezifische Ziele gesetzt (z.B. einen Halbmarathon absolvieren und ein paar Duathlons – 1,2,3)  und dabei folgendes gelernt:

„Man wird dort besser, wo man trainiert“ (siehe „Neunzig Prozent“), gilt nicht nur für die Gestaltung des Trainings (der 90% Ansatz hat bei mir beim Laufen auch funktioniert), sondern auch für die Wahl der Sportart. Will man beim Radfahren besser werden, dann sollte man mit dem Rad fahren.

Dem Herz-Kreislauf System ist es aber egal wie man es belastet. Daher ist Laufen in jedem Fall besser als nichts zu tun. Hat man nicht ausreichend Zeit zum Radeln, ist das Wetter zu schlecht oder ist man irgendwo auf Reisen, wo das Rad nicht mit kann, dann ist Laufen eine praktische Alternative. Ich schiebe gerne an Erholungstagen eine lockere Laufeinheit ein. Auch hier ist gemütliches Traben besser als auf der Couch zu hocken. Mit geeigneter Streckenwahl sind auch Intervalle an oder über der Schwelle für ungeübte Läufer machbar.

Während das Laufen im Flachen recht anstrengend für Bänder und Muskeln ist und man sich erst daran gewöhnen muss, v.a. wenn man – wie die meisten Radfahrer – einen gut trainierten Motor (Herz-Kreislauf System) hat, aber ein schwaches Fahrgestell (Bänder/Muskeln), dann ist bergauf laufen eine gute Alternative. Dabei arbeitet man vorwiegend gegen die Schwerkraft, hat eine ähnliche muskuläre Belastung wie beim Radfahren und es ist ein Leichtes den Motor voll auf Touren zu bringen ohne sich dabei zu verletzen. Kann man auch im Winter machen, sich auf Skipisten (mit oder ohne Ski) hocharbeiten und dabei viele Minuten Belastung an der Schwelle sammeln. In Städten kann man Sprints oder HIT Einheiten auf Hügeln, steilen Strassen oder Stiegen versuchen.

Apropos anstrengend: Schnelles Laufen ist viel fordernder und anstrengender als schnelles Radfahren. D.h. man muss deutlich längere Erholungsphasen einplanen. Ich war im heuer Mai nach dem Halbmarathon im März und meinen zwei Duathlons im April samt dem dazugehörigen Lauftraining ziemlich streichfähig. Während kurze Spitzenbelastungen (z.B. Zeitfahren) kein Problem waren, war vor allem die Erholungszeit deutlich länger als in den Jahren davor (mit reinem Radfahrtraining). Erst einen Monat später, im Juni, war ich aus dem Loch heraussen und fühlte mich wieder normal.

Schlagwort schnell: Ähnlich wie beim Radfahren die relative VO2max und die daraus abgeleitete Schwellenleistung (FTP) (siehe „Was geht noch?“) über die Leistungsfähigkeit entscheidet, so ist dies auch beim Laufen der entscheidende Faktor. Dieser Beitrag bzw. die darin angeführte Tabelle zeigt einem recht gut das Potential auf, das man als Läufer hat. Meine Vo2max liegt bei ~70 und ich bin heuer 10k in ~34:30 gelaufen. Passt also recht gut. Mein absolutes Leistungsniveau bei Rennen ist dann ähnlich: Bin ich als Radfahrer mit meinen knapp 5W/kg Schwellenleistung ein guter Amateurfahrer, so bin ich beim Laufen auch ein guter Amateurläufer. Einige sind schneller und viele sind langsamer als ich 😉

vo2max-runningspeed

Leidet das Radfahren unter dem Laufen? Jein. Bei mir hat das Laufen zu keiner Verschlechterung der Leistungswerte am Rad geführt, aber sehr wohl zu einem Aufbau an Muskelmasse (= mehr Gewicht = schlecht wenn man mit dem Rad bergauf fährt) und zu einer Reduktion spezifischer Trainingseinheiten, weil man auf ein intensives Radtraining nicht einfach ein intensives Lauftraining drauf packen kann. Nach dem Absetzen des Lauftrainings Ende April ist das Zusatzgewicht (ca. 1-1,5kg) erhalten geblieben und hat mich durch die gesamte Saison begleitet und dann im August/September auch dazu beigetragen, dass ich meine bisherigen Wattbestleistungen überbieten konnte. Bergauf war ich zwar immer noch langsamer als früher, aber am Zeitfahrer im Flachen so schnell wie noch nie. Gefühlt haben die zusätzlichen Laufmuskeln (Äussere Oberschenkelmuskulatur) vor allem die, bei intensiver Belastung ermüdenden, Radmuskeln (Gerade Oberschenkelmuskulatur) unterstützt. Das zeigt auch die Auswertung meiner Garmin Vector Pedale, die deutlich belegt, dass ich mit steigender Ermüdung immer O-beiniger werde (und dadurch die äußere Oberschenkelmuskulatur stärker belaste).

Nach den Erfolgen des heurigen Jahres (u.a. Österr. Meister Duathlon Masters, Österr. Meister EZF Amateure), kann ich nicht behaupten, dass das verstärkte Laufen ein Fehler gewesen wäre. Ich möchte daher auch weiter regelmässig laufen gehen (und irgendwann einmal noch einen drauf setzen!). Allerdings hatte ich heuer auch ziemliche Probleme mit meinen Waden und die schmerzen bei mir vor allem beim Laufen. Diese Schmerzen möchte ich unbedingt in den Griff bekommen – falls dies überhaupt geht. Meine Knöchel sind leider durch mehrfache Bänderrisse in der Bewegung eingeschränkt – und erst dann wird beim Laufen wieder richtig Gas gegeben.

8 Comments

  • Hallo Jürgen,
    wie immer ein toller Beitrag und ich bin immer gefesselt von deinen Erfahrungen. Da wir uns sehr ähnlich sind und auch ähnliche Ziele verfolgen (Zeitfahren) insbesondere, hätte ich da ein paar Fragen, welche glaube ich leicht zu beanworten sind für Dich. Mir fehlen da halt einfach die Vergleiche auch mal mit Anderen.

    Viele Grüsse aus Berlin
    Stephan

  • Saison ist jetzt vorbei. Meine FTP habe ich dieses Jahr von 200 auf ca. 231 rauf bekommen. Ich fahre auch mit dem Garmin Vector System, allerdings erst seit Juni. Die Daten auswerten erledige ich über Golden Cheetah. Und ja, ich kann sie sehr gut interpretieren und auch meine Trainingsbelastung dementsprechend auch anpassen. Ich wiege 63 Kilo bin Kerngesund und habe Zeit mich aufs Training voll und ganz zu konzentrieren. Das Wattmesssystem hat doch schon einiges an Verbesserungen gebracht. Lange rede gar kein Sinn, mein Ziel ist es kräftiger zu werden und natürlich die FTP zu steigern, auf ca 4,6-5 W/kg. Ich denke das sollte drin sein, insofern ich auch an Muskelnasse zunehme. Jetzt meine Frage wie genau stelle ich das an, aus einem Mix an Kraftübungen und Rollentraining im Winter? Ich muss dazu sagen, im Gegensatz zu anderen Leuten kann ich im Winter viel auf der Rolle fahren, es macht mir sogar spass. Wie du habe ich letztes Jahr auch den Kern mehr trainiert, Sit ups, Dehnübunen usw, und ich denke das bringt auch einiges, allerdings würde ich gerne noch 1,5-2 Kilo Muskeln raufpacken. Mein Vorteil dir gegenüber, wir haben hier so viel Berge in Berlin wie Österreich Meer Strand hat, daher ist mein Gewicht bei unseren paar Anstiegen zu vernachlässigen.

    Vg Stephan

    • @4,6-5w/kg FTP: Wie hoch dein Potential ist, kannst du grob an der 5min Leistung (= VO2max = stark genetisch bedingt und wenig trainierbar bzw. rasch maximiert) ableiten. Nicht dass ich dir die Hoffnung nehmen will, aber von 3,6 auf 4,5 ist nicht gerade ein kleiner Sprung. Siehe auch http://jpansy.at/2013/08/04/was-geht-noch/

      @Gezielt Gewicht aufbauen: Das habe ich noch nie gemacht. Ich hasse Fitnesscenter und Gewichte stemmen, daher kann ich dir dazu keine Tipps geben. Ich glaube auch nicht, dass Muskelaufbau zwingend zu mehr Leistung führt und würde daher gar nicht einmal versuchen gezielt an Gewicht zuzulegen. Gibt im Netz aber eh genug Infos zu Krafttraining für Radfahrer. Musst dich dort umsehen.

      • @FTP, ich fahre erst seit 2 Jahren und der Sprung war seitdem schon extrem, aber ich denke in den nächsten 2 Jahren, sollte ich verletzungsfrei bleiben, wäre das drin, der Weg und das Training bis jetzt zeigt mir eigentlich den richtigen Trend.
        @Muskelaufbau. Danke für das Feedback, dass bestätigt mein Wissen und meine Recherche zum Thema Kraftsport beim Radsport. Damit sollte klar sein das Gewichte stemmen nicht gleich mehr Kraft bedeutet sondern nur unterstützend wirkt, ähnlich wie Training des inneren Kerns.
        Danke also für dein Feedback.

  • Servus Jürgen,
    ich weiß nicht, aber irgendwie kommt mir Deine Tabelle oben nicht ganz plausibel vor. Mit einer 40Min-Zeit über 10km (was ja eher guter Durchschnitt ist) kommt man laut Tabelle auf ca. 62 ml/kg/min. Ich würd aber bei der Zeit eher auf 52 tippen…
    schönen Gruß Wolfgang

  • Ich hätten deinen Beitrag wenn Läufer Rad fahren nenn können.
    Während des Studiums lange gar nicht bewegt. Mit Laufen angefangen und dann kam irgendwann verstärkt Radfahren dazu.
    Deine Ausführungen kann ich aber voll und ganz nachvollziehen.
    Bin meist im Winter 0 Rad gefahren und war trotzdem ab April/Mail gleich relativ fit auf dem Rad.
    Letztes Jahr dann vermehrt Rad statt Lauftraining.
    Konsequenz Steigerung der Watt Leistung an meinem Haushügel von 320W über 7min auf 400W über 6min.

    Zusatzgewicht in Form von Fett aus der Nicht Bewegungszeit und Muskeln vom Laufen schleppe ich allerdings immernoch mit mir rum.
    D. h. Berg hoch ist nicht gerade mein Spezialgebiet.
    In der Ebene geht’s dafür ganz gut voran.

    Ziel für dieses Jahr ist also weitere Gewichtsreduktion, bei hoffentlich gleichzeitiger Leistungssteigerung. Potential ist noch einiges da.

    Weniger Gewicht wirkt sich beim Laufen schließlich noch direkter aus, als beim Radfahren.
    Während unsere FTP Leistung ungefähr gleich sein dürfte, fehlen mir beim Gewicht sicherlich so 10kg auf dich.
    D. h. in der Ebene könnte ich dir im Rad Windschatten vllt. folgen., beim Laufen never 😉

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