Neunzig Prozent

Anbei die Beschreibung einer Methode, die ich heuer erfolgreich in meinem bestreben nach mehr Qualität und weniger Quantität im Training eingesetzt und damit die Intensität und Dauer (zwischen 1min – 60min) von Intervallen festgelegt habe.

Worum geht es?

Festlegung der Intensität und Dauer von Intervallen auf Basis der persönlichen Mean-Max Kurve und nicht der FTP.

Was liegt der Idee zu Grunde?

Ich (und wohl auch andere) habe die Erfahrung gemacht, daß man dort besser wird, wo man auch trainiert. Das gilt sowohl für die Intensität (Watt) als auch die Dauer (Minuten). Möchte ich meine 20-Minuten-Bestleistung verbessern, dann muss ich sowohl die Dauer (also 20 Minuten Intervalle) als auch die Intensität (Watt) mit der ich die 20 Minuten fahren will, trainieren.

Wie funktioniert’s?

Einerseits fährt man Intervalle mit 90% der Zielwatt über die Zielzeit und andererseits sucht man sich Anhand seines Mean-Max Charts die Dauer für Intervalle mit 100% der Zielwatt heraus.

Ein Beispiel

Ich habe mir heuer im Sommer als Urlaubsziel nicht nur die Insel Elba vorgenommen, sondern wollte dort auch erstmals über 20min mehr als 350W fahren. Dazu bin ich im Urlaub sowohl 20min lange Intervalle mit 90% von 350W = 315W gefahren (was leider nur eingeschränkt ging, weil es auf der kleinen Insel kaum so lange durchgängige Strassenstücke gab) als auch 350W Intervalle mit 10min Dauer (Über 10min kann ich ~380W fahren. 90% davon sind ~345W). Beim abschließenden Test über 20 Minuten habe ich dann 353W Schnitt erreicht. 🙂

Würde ich meine FTP (= 60min Leistung) steigern wollen, dann müsste ich sowohl 60min mit 90% (= Sweetspot) als auch 20min mit 100% der FTP (= 20min Bestleistung ist 90% der FTP) trainieren. 20min Intervalle bin ich vorigen Winter schon sehr viele gefahren, aber keine 60min Sweetspot Einheiten. Das werde ich wohl heuer einmal probieren …

Für die Anzahl an Wiederholungen und die Ruhepausen zwischen Intervallen hält man sich am besten an Beispieltrainings aus diversen Trainingsbüchern bzw. auch dem PDF Racing by Power (z.B. Seiten 17, 24, 25, 63, 64). Für Intervalle mit kurzer Dauer <10min sind auch die Richtlinien von Thibault geeignet.

Qualität statt Quantität

Unter dieses Motto habe ich das Training für 2013 gestellt. Während ich im Winter schon in den vergangenen Jahren recht systematisch trainiert habe und über längere Zeit Intervalle gefahren bin, so bin ich in der Sommersaison einfach immer nur wahllos und meistens mit Volldampf in der Gegend herumgekurvt – frei nach Eddy Merckx „Ride lot’s“. Wenn man das Ganze über das Performance Management Chart mit CTL, ATL und TSB steuert (siehe Jahresplanung mit CTL/TSS und The next level) und die Intensität der Einheiten über deren Länge bzw. das Gelände (Berg, hügelig, flach) regelt, dann kann man damit sehr weit kommen.

Ich wollte heuer aber einen Schritt weiter gehen und nicht nur im Winter, sondern auch im Sommer aus der verfügbaren Zeit das Maximum herausholen, sowie meine Leistungswerte weiter verbessern. D.h. auch im Freien Intervalle fahren und Einheiten in einem vorher festgelegten Intensitätsbereich absolvieren. Dabei sollte wieder der – wegen seiner Einfachheit für mich ideale – Trainingsplan von Lydiard/Howe dienen (Racing by Power ab Seite 23 bzw. 63). Ausserdem wollte ich den Wochenrythmus beibehalten, der für mich im Winter schon sehr gut gepasst hat (siehe Auf der Rolle 4): Mo, Mi, Fr sind Intervalltage. Di, Do, Sa Grundlagentage und So aktive Regeneration (oder Ruhetag).

Mit diesen Vorgaben habe ich den Jahresplan von Howe, welchen ich schon im Winter gestartet habe (und in Auf der Rolle 4 und Auf der Rolle 5 beschrieben habe) über den ersten Rennblock von Mitte April bis Mitte Mai mit Fokus auf Zeitfahren und Amateur-Strassenrennen durchgezogen. Danach folgte der Aufbau für die Transalp, der wesentlich systematischer war, als eigentlich ursprünglich geplant. Der Grund: Mein Partner Daniel hatte im Mai eine ordentliche Formkrise. Daraufhin haben wir uns beide einem von mir entworfenem, strukturierten Aufbauprogramm unterzogen, mit dem Ergebnis, dass wir bei der Transalp 6. geworden sind und er leistungsmässig zu mir aufgeschlossen hat.

Transalp Aufbau

Es waren nur 6 Wochen Zeit, daher wurden in sehr kurzer Zeit alle Intensitätslevel verbaut und eine Ruhewoche gab es nur zum Schluss unmittelbar vor der Transalp. Dadurch, dass viele Intervalle zu fahren waren, gab es keinen Platz für lange Einheiten. Das wäre sich schlicht mit der Regeneration bis zu den Intervalleinheiten nicht ausgegangen. Ein Risiko: Eine Transalp fahren ohne davor jemals länger als 2,5h am Stück trainiert zu haben. Kann das gut gehen? Im Nachhinein kann ich das mit „Ja, das geht“ beantworten.

130508 transalpplanDer Trainingsplan inkl. Anweisungen und Regeln (zum Vergrößern anklicken)

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Und was ich tatsächlich trainiert habe (zum Vergrößern anklicken)

Der ideale Plan?

Für mich ist das oben angeführte Schema das bisher beste, das ich je hatte. Nicht nur weil die Leistungen passen, sondern weil es für mich und meinen Lebensrythmus einfach perfekt passt:

  • Kein Training dauert länger als 2h-2,5h. D.h. ich kann bei Schlechtwetter auch jederzeit auf die Rolle ausweichen.
  • Jeden Tag zu fahren ist viel leichter zu planen als unregelmäßige einmal lange und einmal kurze Einheiten. An den Wochenenden bleibt viel Zeit für die Familie. Und hat man doch einmal Zeit um mehr zu fahren, dann läßt man einfach – so wie wenn am Wochenende ein Rennen ist – eine Intervalleinheit aus.
  • Da die 1h langen Intervalleinheiten fast genauso viel Energie benötigen wie die 2h langen Grundlageneinheiten ist der tägliche Energiebedarf sowie die Belastung für den Körper sehr regelmäßig. Sprich: Man isst eigentlich immer gleich. Auch das ist sehr angenehm. Heißhungerattacken bleiben aus. Das Gewicht sinkt (zumindest bei mir).
  • Mein Zeitaufwand ist insgesamt gegenüber den Vorjahren gesunken, die Leistungswerte sind aber gestiegen. Ich bin noch nicht viele lange Rennen gefahren, aber wenn dann hatte ich nie Probleme gegen Ende des Rennens.
  • Eines erfordert der Plan aber doch: Disziplin und Selbstbeherrschung. Und das kann und will man für sein Hobby nicht immer aufbringen. Daher habe ich z.B. ab Ende der Transalp bis Mitte Juli auf den altbewährten – ich fahre so viel wie geht und das so schnell wie geht – Modus umgestellt. Macht auch Spass und bringt leistungsmäßig etwas. Zu einem all zu wilden Plan sollte man sich nicht kasteien und rechtzeitig die Zügel auch einmal locker lassen.

Vergleiche (jeweils 1.1. – 30.6.)

130815 dauer
Trainingsdauer sinkt seit 2011.

130815 levels
L3 fällt 2013 extrem ab. L4 & L5 haben 2013 zwar ähnliche Dauer wie die Jahre zuvor, aber die Qualität (= Wie lange hat ein L4 „Burst“ gedauert?) war 2013 sicher höher.

130815 gewicht
Gewicht sinkt. BMI ist mit ~19,5 auf Profi-Niveau.

leistungsentwicklung2010-2013
Leistungsentwicklung 2010 – 2013. Wurde bereits in Was geht (noch)? verwendet.

Das ultimative Intervall – T-Max

„The ultimate interval“ lautet der Titel eines englischsprachigen Berichtes auf bicycling.com. Das hat mich neugierig gemacht und – nachdem ich mich voriges Jahr im Herbst an FTP Intervallen versucht habe – mich dazu gebracht es heuer im Q4 mit T-Max zu versuchen. Ziel: Ich habe noch nie strukturiert L5 Training gemacht, daher wollte ich wissen ob es was bringt und wenn ja, was es bringt und wo man sich verbessert, wie anstrengend es mental & physisch ist, wann man peaked und es keinen Sinn mehr macht die Intervalle fortzusetzen.

T-Max habe ich mir deshalb ausgewählt, weil es ausser dem oben erwähnten Artikel und der Studie von Laursen  auf der er aufbaut, im Internet kaum Informationen dazu gibt – etwa weil es so gut funktioniert, dass keiner darüber schreiben will(?). Ausserdem das trainieren an der Schwelle (in diesem Fall VO2max) für eine Verbesserung jeglicher Schwellenleistung sicher am besten ist. Aber ist es dadurch auch möglich tatsächlich die FTP (in der Studie 40min Zeitfahren) innerhalb von nur wenigen Wochen um 5% zu steigern?

Was sind T-Max Intervalle?

Wer’s genau wissen will, kann sich ja die Studie selbst durchlesen. Jedenfalls geht es darum 8 Intervalle im Bereich der maximalen Sauerstoffaufnahme (in der Studie VO2peak bezeichnet, üblicherweise als Vo2max bezeichnet) zu fahren. Die Dauer des Intervalls soll 60% der Zeit betragen, die man mit VO2peak fahren kann. Die Ruhepause das Doppelte davon. Da ich zu Hause zwar einen Leistungsmesser habe, aber die VO2peak sich nur über komplexe Messgeräte bestimmen lässt, habe ich mich mir die jeweiligen Intensitäten anhand der Mittelwerte aus der Studie bestimmt.

Das funktioniert dann so:

  • Man fährt einen Stufenleistungstest. Beginnend bei 100W wird alle 30s um 15W gesteigert.
  • Die letzte fertiggefahrene Stufe merkt man sich (PPO). Bei den Radfahrern in der Studie lagen die VO2peak Watt im Mittel bei 95% davon. D.h. PPO * 0,95 = Pmax (in Watt). Achtung: Das steht in dem Artikel auf bycicle.com falsch drinnen, dort wird man mit PPO Watt ins Rennen geschickt.
  • Nun geht es an die Bestimmung der Intervalldauer. Dazu fährt man mit Pmax Watt so lange es geht. Diese Dauer ist dann Tmax. Mind. 4min sollte das möglich sein, sonst wird die Intervalldauer zu kurz.
  • Das Intervall soll nun Tmax * 0,6 min dauern. Im Regelfall irgendetwas zwischen 2-3 Minuten. Die Erholungspause zwischen den Intervallen doppelt so lange, also Tmax * 1,2 min.
  • Eine Intervalleinheit besteht aus 8 Wiederholungen von: 0,6 * Tmax mit Pmax Watt und danach 1,2 * Tmax Pause (locker Radeln).

Jetzt geht’s ans Training: 2x pro Woche sollte man die T-Max Einheiten machen, nebenbei das normale Trainingsprogramm forsetzen. Und wenn das stimmt was in der Studie bzw. dem Artikel steht, dann sind die Einheiten brutal. Die Studienteilnehmer haben nur rund 64% der geplanten Intervalle absolvieren können.

Die Praxis

Mit diesen Informationen bin ich es angegangen und habe mich einmal am Stufentest versucht. Bei 400W und 183 Puls war Schluss. Das ergibt eine Pmax = 400 * 0,95 = 380W. Den Tmax Test habe ich 4min geschafft. Das ergibt eine Intervalldauer von 4*0,6 = 2:24min. Ich habe 2:30 Belastung und 5min Pause gewählt.

Dann die erste Intervalleinheit, die ich unmittelbar nach dem T-max Test starten wollte. Keine gute Idee, nach 2 Wiederholungen war Schluss. Ausserdem waren die Watt etwas zu hoch. Da ich alle Intervalle auf meiner Bushido Rolle fahre und es dort (noch) keine direkte Kopplung mit dem Leistungsmesser gibt und ausserdem eine recht starke Temperaturdrift, musste ich mich erst langsam an die richtige Belastung heran testen (siehe Taxc Bushido im Test).

Die zweite Intervalleinheit war dann besser. Alle Wiederholungen ausgefahren, aber es ist brutal: Das Laktat schiesst bei jeder Wiederholung gewaltig in die Beine ein und es ist gegen Ende hin eine reine Quälerei. Ob man es ganz durch schafft oder nicht entscheidet mehr der Kopf als die Beine.

Letztlich bin ich, mit einer kurzen Verletzungspause (Bandscheibenvorfall o.ä.), insgesamt 8 Einheiten innerhalb von 1,5 Monaten gefahren. Zusätzlich noch ca. 10h/Woche L2 (= Grundlage GA1/GA2) und gelegentlich 4x10min L4 (= Schwelle).

Aus den Intervallen selbst lässt sich kaum eine Steigerung ableiten. Daher habe ich 4 Mal (Anfang, Mitte, Ende, 3 Wochen danach) einen Stufenleistungstest nach dem T-Max Protokoll gemacht:

Fazit & Learnings

  • Die Intervalle sind Schmerz pur. Man sollte das Programm nur angehen, wenn man sich sicher ist, dass man das auch will. An einem Tag an dem man sich schlecht fühlt und von vornherein nicht wirklich will, lässt man’s besser gleich davor bleiben.
  • Ob sich nach den 8 Einheiten schon ein Peak eingestellt hat oder nicht kann ich nicht beurteilen. Jedenfalls hatte ich nicht das Gefühl, dass es mir mit Fortdauer des Trainings besser ging. Die gefühlte Anstrengung der einzelnen Einheiten war immer gleich. Auch die maximalen Pulswerte haben sich kaum verändert. Allerdings hätte ich es mental nicht mehr geschafft weiterzumachen bzw. wollte ich mich nicht in der eigentlichen „off season“ komplett mental abschiessen.
  • Die Steigerung beim Stufenleistungstest ist offensichtlich. Interessant dazu auch die Pulsfrequenzen: Die Intervalle wirken eindeutig positiv auf das Herz-Kreislaufsystem. War meine maximal gemessene Herzfrequenz 2009 & 2010 je 187 Schläge/Minute, so habe ich es nun auf 190 Schläge/Minute gebracht. Ein Indiz für eine gestiegene maximale Sauerstoffaufnahme (VO2max).
  • Was auch steigt ist die Laktattoleranz bzw. die mentale Leidensfähigkeit. Intervalle an der Schwelle (L4) fühlen sich an wie ein Kindergeburtstag.
  • Allerdings hatte ich nicht das Gefühl, dass sich die FTP bzw. die Leistungsfähigkeit bei einem längeren Zeitfahren (40-60min) dadurch in irgendeiner Weise gesteigert hätte. Habe leider davor und danach keinen konkreten Test gemacht, aber die Intervalleinheiten an der Schwelle haben sich danach zwar (vom Kopf her) leichter angefühlt, waren es aber weder vom Puls noch der Anstrengung her – danach war ich genauso fertig wie sonst.
  • Ganz interessant auch wie sich ein kürzeres Intervall anfühlt: Ich habe versucht eines meiner Saisonziele – 400W über 5min halten – zu erreichen. Leider war ab 4:33min ziemlich die Luft raus, daher habe ich nur 397W Schnitt geschafft. Trotzdem mein bester Wert ever über 5min bzw. fast 10% besser als der bisherige Bestwert auf der Rolle. Vom Gefühl her waren die ersten 2:30min richtig leicht und danach war es extrem hart. Scheinbar war ich im Kopf durch die Intevalle extrem auf die 2:30min Dauer getrimmt.
  • Das ist letztlich meines Erachtens auch der Grund für die wesentlich besseren Ergebnisse beim Stufentest: Die letzten 2:30min wird man durch die T-Max Intervalle einfach massiv besser. Kann sich besser quälen (mental), hat eine bessere Laktattoleranz und sicher auch eine höhere VO2max.  Man trainiert quasi auf die Verbesserung beim Leistungstest hin. Der Umkehrschluss zeigt das auch deutlich: PPO bei den letzten Stufentests war 445W. Pmax = 445 * 0,95 = 422W. Ich müsste also T-Max Intervalle statt mit 380W nun mit 420W fahren. -> No way!
  • Zusammengefasst könnte man sagen: „Man wird dort besser wo man trainiert“ trifft voll zu. Will sich jemand im Bereich 2:30min – 4min Belastungen verbessern und einmal so richtig schön leiden, ist T-Max sicher einen Versucht wert.

Links

Studie von Laursen: Interval training program optimization in highly trained endurance cyclists (PDF)

Artikel auf bicycling.com